Sonntag, 5. Dezember 2010

Pressefreiheit in Gefahr

Ganz schön reißerisch diese Überschrift, nicht wahr? Aber sie ist leider wahr. Warum: Man muss sich nur die Geschehnisse rund um Wikileaks anschauen. Doch der Reihenfolge nach:
Jeder angehende Journalist sollte den Watergate-Skandal kennen, der mit Dustin Hoffman und Robert Redford in den Hauptrollen verfilmt worden ist. Durch ihre Recherchen und Artikel brachten die Reporter Woodward und Bernstein den US-Präsidenten Richard Nixon zu Fall. Sie hatten eine Quelle, die offenbar weit oben in einer der Behörden sitzen musste: "Deep Throat". Erst 2005, also 33 Jahre nach dem Beginn der Affäre, offenbarte sich Mark Felt, die damalige Nummer 2 des FBI, als Deep Throat. Wollen wir wetten, dass es heutzutage nicht so lange dauern würde.

Firmen, Behörden und Regierungen lassen sich nicht gern von der Presse in die Karten schauen. Sickern Informationen nach draußen, wird reagiert. Firmen streichen etwa Werbeseiten in der entsprechenden Publikation, Behörden und Regierungen dementieren erstmal. Allen gemein ist, dass nach dem Leck im eigenen Unternehmen gefahndet wird. Firmen nutzen interne und externe Ermittler, Behörden und Regierungen machen es sich leichter: Sie nutzen Polizei und Justiz. Pressefreiheit und der darin enthaltene Quellenschutz werden plötzlich ganz klein, wenn Stichworte wie Geheimnisverrat oder Gefährdung der inneren Sicherheit auftauchen. Dann können schon mal Redaktionsräume durchsucht werden wie im Fall der Zeitschrift Cicero. Das einzige Ziel der ganzen Aktion war, die Quelle rauszubekommen. Eine US-Journalistin ging sogar drei Monate in Haft, weil sie ihre Quelle nicht verraten wollte.
Warum ich das alles schreibe? Weil solche Aktionen auch ein Signal sind: Fühlt euch als Informanten für die Presse nicht zu sicher, wir kriegen euch - oder machen euch das Leben wenigstens zur Hölle. Und tatsächlich habe ich das Gefühl, dass es immer weniger klassische Enthüllungsgeschichten gab. Weil sich mögliche Quellen nicht mehr trauten, Missstände der Presse mitzuteilen?
Und dann kommt dieses Wikileaks, das sich als Internet-Sammelbecken für Informanten darstellt, deren Spur sich mit dem Überspielen ihrer geheimen Informationen zu Wikileaks verliert - Quellenschutz at its best. Und wenn der US-Gefreite sich nicht mit seiner "Tat" im Internet (sic!) gebrüstet hätte, wüsste es bis heute niemand. Wikileaks ist der Albtraum für die Mächtigen dieser Welt.
Doch jetzt sehen diese Mächtigen ihre Chance gekommen. Als die War Diaries aus Afghanistan und dem Irak veröffentlicht wurden, waren die Reaktionen aus der Politik noch verhalten. Dieses Mal sieht es anders aus: Weil Cablegate schwieriger einzuschätzen ist und  tatsächlich viele Leute damit nicht einverstanden sind. Diese Grundstimmung nutzen die Mächtigen aus - mit einem Ziel: das anarchistische Wikileaks platt zu machen - um wenigstens für die Zukunft Ruhe davor zu haben. Nein, die Regierungen dieser Welt gehen nicht gegen den Spiegel, die New York Times und die anderen Medien vor, die die Dokumente zeigten und analysierten. Sie können immerhin nichts gegen die Veröffentlichung ausrichten. Aber sie wollen wie immer an die Quellen - und die Quelle ist Wikileaks. Ich weiß nicht, wie groß der politische Druck auf beteiligte Firmen war: Amazon hat Wikileaks von seinen Servern runter geschmissen. Die Ebay-Tochter Paypal hat das Spendenkonto für Wikileaks dicht gemacht. Um nur die Prominentesten zu nennen.
Wie naiv jedoch der Versuch ist, Wikileaks zerstören zu wollen, zeigt sich glücklicherweise an den rund 70 Seiten, die innerhalb kürzester Zeit als "Spiegel" für Wikileaks dienen. Dort sind die gleichen Inhalte zu finden. Und von diesen Seiten kann es wieder gespiegelte geben und so weiter.
Vielleicht sollten die Mächtigen lieber den mittlerweile legendären Satz von Google-Chef Eric Schmidt verinnerlichen: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun."

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